Erstes veganes Sternerestaurant in Frankreich: Interview mit Chefköchin Claire Vallée

Claire Vallée ist Chefköchin und Besitzerin des Restaurants ONA (Abkürzung für Origine Non Animale, dt. Nicht tierischer Herkunft), welches sich in Arès im Gebiet Gironde befindet, unweit der Bucht von Arcachon. Das Restaurant setzt vollständig auf vegane Küche und wurde im Januar 2021 als erstes veganes Restaurant Frankreichs mit einem Stern im berühmten Guide Michelin ausgezeichnet. Wir haben die engagierte Küchenchefin nur wenige Tage nach ihrer Auszeichnung getroffen, um uns mit ihr über ihre Kochkunst und ihre Philosophie zu unterhalten.

France.fr: Bonjour und herzlichen Glückwunsch zum erkochten Stern! Könnten Sie uns bitte Ihr Restaurant vorstellen und die Küche, die Sie dort anbieten?

Claire Vallée: Vielen Dank! ONA (Externer Link) ist ein bio-veganes Restaurant. Wir setzen auf saisonale, lokale und 100% pflanzliche Küche. Direkter Einkauf beim Produzenten ziehen wir vor und unsere Speisekarte passen wir an die jeweilige Jahreszeit an. Daher stehen wir im ständigen Austausch mit den Produzenten, um genau zu wissen, welche Produkte sie uns für unsere saisonalen Gerichte anbieten können. Bei uns finden Sie jedenfalls im Januar kein Menü rund um Tomaten!

France.fr: Im Südwesten Frankreichs, einer Region deren Spezialitäten oft Meeresfrüchte oder Ente beinhalten, ein veganes Restaurant zu eröffnen, erscheint uns ganz schön wagemutig! Woher kommt Ihr Wunsch, vegane Küche anzubieten?

C.V.: Ich hatte Lust, etwas Anderes zu machen, das meiner Überzeugung entspricht, es war mir wichtig, meiner Arbeit Sinn zu verleihen und dabei meine persönlichen Werte zu berücksichtigen. Seit einiger Zeit spukte mir die Idee, vegan zu kochen, im Kopf herum, aber ich wusste nicht, wie ich es genau angehen sollte. Ich kochte im Lauf meiner Karriere in verschiedenen Restaurants, in denen Fisch oder Fleisch in den Gerichten dominierten. Ich konnte zwar auch gelegentlich vegetarische Gerichte kreieren, aber das war mir nicht genug, weshalb ich schließlich ONA gegründet habe, um das, was ich zu sagen hatte, im vollen Umfang zum Ausdruck zu bringen.

France.fr: Wie entwickeln Sie ein 100% pflanzliches gastronomisches Menü in 7 Gängen, welche Produkte inspirieren Sie dabei?

C.V.: Meine Menüs sind oftmals Erlebnisse. Dabei kann es sich um die Rückkehr von einer Reise ins Ausland handelt, auf der ich neue Gewürze entdeckt habe, aber auch um Reisen innerhalb Frankreichs, ich habe zum Beispiel schon ein ganzes Menü der Bretagne gewidmet. Auch Kindheitserinnerungen spielen eine Rolle, wie etwa das Menü über die Provenzalische Drôme, wo ich aufgewachsen bin. Für dieses Menü habe ich auf alles zurückgegriffen, was die Gegend für mich kulinarisch ausmacht: Nüsse aus Grenoble, Olivenöl, Orangenblüten... In diesem Fall handelte es sich um ein für Juli und August konzipiertes Menü, um die Früchte der Obstbauern nutzen zu können, wie etwa Aprikosen. Es kommt aber auch vor, dass ich ein Menü rund um ein einzelnes Produkt entwickle, wenn mir dieses wirklich gefällt. Wenn ich zum Beispiel ein Menü rund um die Tomate plane, weil diese gerade Saison hat und somit die besten Tomaten verfügbar sind, arbeiten wir mit der Tomate in allen Variationen, von salzig bis hin zu süß, in Suppen, mit verschiedenen Texturen... natürlich auch in Kombination mit weiteren Gemüsesorten und anderen Produkten, um das Ganze schön abzurunden. Aber die Tomate ist dann der Star unter unseren Zutaten!

France.fr: Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?

C.V. Die Planung eines Menüs beginnt immer mit den Produzenten: man sieht, was man in dem Zeitraum bekommen kann, und spricht mit ihnen darüber. Danach bespreche ich alles mit meinem gesamten Küchen- und Serviceteam. Ich schlage ihnen ein Thema vor und bitte sie, ihren Ideen dazu in einem Brainstorming freien Lauf zu lassen. Auf dieser Basis erstelle ich zusammen mit dem Team die Speisekarte, dann folgen Tests, wir probieren, was funktioniert und was nicht, was auf den Tellern fehlt und wie wir noch am Geschmack feilen müssen, damit dieser eindrucksvoller wird.

France.fr: Sie haben vom Serviceteam gesprochen, bekommen Ihre Servicekräfte besondere Anweisungen, um Ihre Küche einem Publikum näherzubringen, das vielleicht noch nicht so erfahren ist, was vegane Küche betrifft?

C.V. Absolut. Wir erklären die Gerichte generell vollständig. Falls wir nicht genug Zeit haben, um alle Details zu erklären, es aber trotzdem Fragen gibt, komme ich persönlich, um diese zu beantworten. Die Interaktion mit den Gästen ist bei uns sehr wichtig, denn ein Teil der Küche, in dem ich mich häufig aufhalte, ist zum Restaurantbereich hin offen. So können die Gäste zu mir kommen und mir Fragen stellen, sie lieben das persönliche Gespräch - das ist etwas, das ich in meinem Restaurant unbedingt beibehalten wollte. Ich denke, dass etwa 95% meiner Gäste keine Veganer sind, das ist wirklich nur ein verschwindend kleiner Anteil. Die Gäste sind Feinschmecker - anfangs kamen die Leute vielleicht eher aus Neugier, inzwischen sind wir besser etabliert, daher kommen sie nun vielmehr wegen der Küche an sich. Ich liebe den Austausch mit ihnen.

France.fr: Wie ist Ihr Bezug zur französischen Gastronomie im Allgemeinen?

C.V.: Natürlich gibt es Klassiker, auf die man gern zurückgreift, wie etwa Meringues. Einige Elemente der französischen Küche werden inzwischen auch vegan umgesetzt, wie etwa Macarons, Früchtekuchen, Ganaches... Es gibt also schon eine Basis, die ohne tierische Produkte auskommt. Aber ich bin immer auf der Suche nach neuen Garmethoden und entwickle dank meiner weltweiten Reisen eine Fusion Küche. Inzwischen gelingt es immer besser, ursprünglich mit Fleisch konzipierte Speisen der französischen Gastronomie fleischlos nachzukochen, dank unseres technischen Fachwissens. Das Basiswissen über die französische Küche zusammen mit der perfekten Technik ermöglicht es, in der veganen Küche Fortschritte zu machen und etwas zu schaffen.

France.fr: Zusätzlich zu Ihrem Stern haben Sie einen grünen Stern erhalten, ein Zeichen für Ihr Engagement im Zeichen der Umwelt. Wie arbeiten Sie mit Ihren Produzenten und Lieferanten?

C.V.: Ich achte auf kurze Lieferwege und die Produkte werden ins Restaurant geliefert. Manchmal hole ich sie aber auch, da ich immer Neues entdecke, das ich mir gern vor Ort ansehen möchte, um mit meinen Lieferanten darüber direkt sprechen zu können. Wir haben übrigens sehr viele Lieferanten, da steckt wirklich viel Logistik dahinter. Manche Restaurants arbeiten mit einem einzigen Zulieferer, ich ziehe es vor, mehrere zu haben, das entspricht meiner tiefsten Überzeugung. Die Produzenten kennen ihr Gebiet, das erlaubt, eine Vielfalt an Produkten zur Verfügung zu haben und ich empfinde es als Bereicherung, mit ihnen in Kontakt und im ständigen Dialog zu sein. Es ist eine echte Chance und ein Vorteil, direkt mit den Herstellern sprechen zu können, denn so weiß man, was man genau auf dem Teller hat und wovon man hinterher seinen Gästen erzählen kann: man kennt das Produkt, man kennt den Produzenten, man weiß, wie die Produkte angebaut oder gewonnen werden und das ändert einfach alles, das ist ein echter Mehrwert.

France.fr: War Ihr erklärtes Ziel, einen Stern zu erhalten?

C.V.: Nein, gar nicht. Mein Ziel war es, mein Restaurant zu eröffnen, denn ich hatte keine Finanzierung, es war also schon unglaublich, dass ich es eröffnen konnte. Wir haben geöffnet und hatten sofort genug Gäste, wir waren von dem Erfolg ergriffen. Erst danach kamen die Restaurantführer, und wir haben begonnen, über einen Stern nachzudenken: wenn man in die Führer aufgenommen wird, stellt man sich viele Fragen. Man passt sich an, hört den Kritikern zu, denn sie schlagen auch Änderungen vor. Man hört anderen Profis zu, achtet auf das Feedback der Gäste... all das, daran wächst man, es ist wichtig, den Kritiken ausreichend Raum zu verschaffen.

France.fr: Nach dem Erhalt des Sternes - was sind Ihre Ziele für 2021?

C.V.: Das Hauptziel ist zunächst natürlich die Wiedereröffnung der Restaurants in Frankreich. Wir wissen nun, dass wir gut voll sein werden, und werden unser Bestes geben, um nicht an Qualität zu verlieren, sondern dem Ansturm standhalten. Wir freuen uns darauf, unsere Gäste wieder zu verwöhnen und freuen uns, wieder unserer Leidenschaft, dem Kochen, nachgehen zu dürfen!

Das Restaurant ONA wurde von Claire Vallée 2014 in der Nähe von Bordeaux gegründet. Der Anfang war schwierig, die Finanzierung gelang nur über Crowd-Funding bei einer Öko-Bank, mit ihrem Konzept eines veganen Restaurants traf sie jedoch den Nerv der Zeit und ist nun im Guide Michelin 2021 mit einem Stern vertreten. Zusätzlich wurde ein grüner Stern verliehen, eine neue Auszeichung, die Restaurants für besonders hohe ethische Standards erhalten können.